Unsere schöne, technologische Zeit
Ein Essay von Michael Ebenhofer, 6. April 2017
Audio-Essay "Über die Zeit"
Einleitung
Früher war es irgendwie anders. Ein Tag ohne Smartphone oder elektrischen Geräten ist für Viele inzwischen undenkbar. Wir sind abhängig, auch wenn wir es nicht zugeben wollen. Aktuelle Mobiltelefone und Computer ermöglichen uns viele Dinge zu machen, seien sie produktiv oder zur Unterhaltung genutzt. Der Onlinekalender, Bilder und Videos zu allen Themen dieser Welt anzusehen oder selbst zu verfassen, jederzeit Nachrichten zu teilen oder eben diese jederzeit zu bekommen: Das ist unsere Zeit – das ist… meine Zeit.
Während in den Anfängen der ersten industriellen Revolution gegen 1800 die Arbeitsabnahme Vorrang hatte – oder wenigstens so vermittelt wurde – entwickelt sich die Technokratie unserer Spaß- und Unterhaltungs-Gesellschaft immer weiter. Während langsam mehr und mehr Maschinen uns Arbeiten abnahmen, wenngleich auch nur selten im privaten Haushalt, wurde in der zweiten industriellen Revolution mit der Einführung des Fließbands weiter an unserer Arbeitsleistung geschraubt. Gleichzeitig wurde Telefonie und Telegrafie entwickelt. Mit der dritten industriellen Revolution ab etwa den 1970er Jahren wurden Computersysteme eingeführt, wenn auch anfangs nur für Universitäten und dem Militär. Die aktuelle „vierte“ industrielle Revolution bedeutet das Einbinden von allen Marktartikeln an das Internet. Und wir sitzen mitten drin, denn: Ein Tag ohne die elektronischen Bausteine hieße auch: ein Tag ohne E-Mails, ohne Fernsehen, oder Internet, ohne Shoppen und vielleicht auch: ohne Stress?
Wir bekommen inzwischen so viele technische Unterstützungen für Tätigkeiten angeboten, dass wir nicht mehr bemerken wieviel Mehrarbeit diese Hilfen in Anspruch nehmen. Viele dieser „neuen“ Tätigkeiten kamen erst durch die Nutzung der aktuellen Technik dazu. Wir verbringen Stunden am Tag damit immer auf dem aktuellsten Stand zu sein und verunsichern uns damit selber. Ein Anschlag hier, ein Attentat da, oh: ein lustiges Katzenvideo und wie üblich darauf folgend der tägliche „Hunger in der dritten Welt“-Fernsehwerbespot. Wir leben bereits in der digitalen Welt, was ja nicht zwangsläufig schlecht sein muss. Und wer sich darauf eingelassen hat: ein Entkommen ist nahezu nicht mehr möglich.
Selbsterkenntnis
Richtigerweise muss ich anmerken, dass ich mich einige Jahre mit Buddhismus und Meditation im Zuge meiner Kampfsportausbildung befasst habe. Ich konnte mir mit diesen erlernten Techniken zeitweise Abstand verschaffen und genau diese Dinge aus meiner und für meine Sicht neu bewerten: Unsere Gesellschaft verliert sich in Details die keine Auswirkung auf die Realität haben. Die Zeit in der wir leben wird immer kurzfristiger und kurzlebiger. Als ich damals in einer KFZ-Firma arbeitete hieß es: „Ihr Fahrzeug wird im Laufe der Woche fertig, wir bekommen die benötigten Teile übermorgen.“ – und alles war gut, ja der Kunde freute sich damals sogar, dass er noch diese Woche sein Fahrzeug bekam.
Heutzutage sind die Kunden teilweise schon unzufrieden, wenn das Fahrzeug nicht am selben Tag fertiggestellt wird oder man kein Ersatzfahrzeug bekommt. Sind wir alle zusammen wirklich so unersetzlich? Müssen wir immer auf Abruf stehen und sofort alles umsetzen und bekommen? Wir erlegen uns selbst den größten Druck auf.
Ein in den 70er Jahren erstmal aufgetretenes Syndrom „Burnout“ wurde von Jahr zu Jahr immer verbreiteter. Interessanterweise trifft hier das Entdeckungsjahr ziemlich genau auf die dritte industrielle Revolution zu. Meiner Meinung nach rührt dieses Syndrom unter anderem auch daher, dass wir viel zu viele Dinge permanent im Kopf haben und vom Aufstehen bis zum ins Bett legen mit Klängen, Bildern, Impressionen und den eigenen Gedanken zu stark abgelenkt sind, beziehungsweise beschäftigt werden. Und selbst im Schlaf läuft bei vielen Leuten die ich kenne das Radio oder der Fernseher. Auch bei mir ab und an, da nehme ich mich gar nicht aus. Die Konzentrations- und Motivationsschwäche kann ich durchaus nachvollziehen im Aspekt der Überreizung unserer Aufnahmefähigkeit. Kaum haben wir eine Sache abgeschlossen und aus dem Kopf gebracht sind die nächsten beiden Aufgaben schon da. Und wir wollen das ja auch. Wir möchten „wichtig“ und wenn möglich berühmt sein. Und nur herumzusitzen wäre auf Dauer auch langweilig. Viele Menschen haben verlernt was es heißt, sich selbst zu beschäftigen – und ich meine dies im positiven Sinne.
Unsere innere Ruhe
Ist es nicht so? Unsere Anforderungen im Beruf haben sich doch sehr stark verändert: Während wir früher mit viel körperlicher Arbeit konfrontiert waren sind es inzwischen die kognitiven Fähigkeiten, auf die sich unser Leben konzentriert. Und da es mehr Zeit braucht einen Baum zu fällen als fünf Aufgaben geistig abzuschließen (und dies ist – es sei angemerkt – weniger anstrengend!) tendieren wir mehr und mehr dazu uns zu überfordern. Hier noch eine Aufgabe… und da noch Eine… ach, Eine für später wird schon nicht schaden. Oder aus der Sicht des Unternehmers: Besser dem Mitarbeiter zu viel Arbeit zu geben als zu wenig. Durch rumsitzen verdient sich kein Umsatz. Wir finden keine Ruhe mehr. Und ich behaupte – nein, ich weiß, dass die meisten Leser dieses Essays es ähnlich ergeht.
Als Beispiel aus meinem Alltag: Ich muss prüfen, ob meine Kunden gezahlt haben. Ich muss meine Geschäftsunterlagen pünktlich in die Steuerkanzlei bringen. Ich muss permanent meine E-Mails abrufen. Ich muss permanent erreichbar sein. Ich muss für Alles eine Lösung haben. Ich trage die Verantwortung für alles was ich mache und von meinen Angestellten. Der Druck seitens der Gesellschaft, meiner Kunden und der Wirtschaft ist enorm, zwar werden viele dieser Abläufe im Geiste schon automatisiert, wir denken dennoch daran. Und es belastet uns.
Der Kreislauf
Hast Du eigentlich beim lesen des Textes bemerkt wie häufig Du geblinzelt hast? Oder wie sich Deine Fußstellung verändert hatte? Auch die Atmung und der Kreislauf gingen weiter ohne daran zu denken, es lief vegetativ ab. Wir automatisieren auch andere Bereiche unseres Lebensumfelds. Mir ging es vor einigen Tagen ebenfalls so: Ich sprach mit einem meiner Freunde, welchen ich ab und an treffe. Er erzählte wiederholt dasselbe und ich konnte mich nicht weiter auf das Gespräch konzentrieren und meine Gedanken rotierten um den nächsten anstehenden Tagespunkt. Natürlich bemerkte dies mein Gegenüber und es war mir dann eigentlich sehr peinlich, dass ich – zumindestens unterbewusst – meine nächste Arbeit der „echten“ Person vorgezogen hatte, obwohl sich der Freund für mich Zeit genommen hatte. Was ist als nächstes zu tun?
Anerkennung und Entwicklung
Es kommt noch ein weiterer Faktor dazu. Berühmt zu werden, oder es sich wenigstens einzubilden berühmt zu sein, ist heutzutage nicht mehr allzu schwierig. Sei es wenn man etwas sehr dummes oder ein sehr originelles Video erzeugt und kostenlos auf Plattformen wie YouTube oder DailyMotion im Internet hochlädt. Ich habe bei manchen meiner Kunden auch Facebook-Accounts mit über 1.000 Freunden gesehen. Hier setzt dann unser Egoismus wieder ein. Wer muss sich mit so vielen Bekanntschaften – die derjenige sicherlich nicht einmal kennt – brüsten? Was erwarte ich mir davon? Wie soll das denn auf Andere wirken?
So sehr distanziert ich diese Entwicklung auch versuche zu sehen: ein Blick über den Ozean oder nach Fernost lässt mich hier meine Anspannung nicht vergessen: Diktatoren, wenngleich sich diese auch nicht so bezeichnen würden, die sich beim Wettrüsten überbieten wollen. Und der Stempel wird nach Europa weitergereicht: „Ich müsst aufrüsten“. Wozu? Es gibt mehrere schöne Computerspiele, die diesen Zeitstrang im Geiste weiterspielen. Aber wenn wir als Menschheit etwas gut können, dann ist es wohl alles zu vernichten, was wir aufgebaut haben. Damit sind ja dann Alle zufrieden: Die Waffenindustrie konnte ihre Waffen verkaufen, die Bau- und Planungsindustrie sowie Handwerker aus allen Bereichen finden wieder Arbeit. Anstelle produktiv mit den Mitteln die wir haben umzugehen und etwas in der Welt zu bewegen machen wir genau das Gegenteil, wir bleiben unserem Naturell treu. Aber ich gleite vom Thema ab.
Die positiven Aspekte
Immerhin ist nicht alles schlecht geworden. Es gibt viele Bereiche in denen ich dankbar bin, dass ich sie nutzen kann. Das Gesundheitswesen ist ein gutes Beispiel: die Lebenserwartung steigt von Jahr zu Jahr. Auch diesen Text hier schreibe ich mit meinem Notebook. Auch die Chance, dass diesen Text jemand liest steigt dank der Elektronik und dem Internet beträchtlich an. Oder ich muss nicht jede zweite Woche hunderte Kilometer mit meinem Fahrzeug zurücklegen oder mich stundenlang in einen Zug setzen, um mich mit meinen – inzwischen – weiter weg wohnenden Freunden zu unterhalten.
Ich finde es auch nicht problematisch hin und wieder Bekannte anzurufen oder meine E-Mails zu überprüfen. Nur mache ich dies seit einiger Zeit nicht mehr unterbewusst, sondern bewusst zu gewissen Zeiten. Und ich entwickelte im Laufe der letzten Jahre meine eigene Weltanschauung, da ich die aktuellen Weltgeschehnisse und -entwicklungen nicht gutheißen, ja nicht einmal richtig ernst nehmen kann. Auch wenn ich im IT-Bereich tätig bin muss ich nicht wie ein Lemming den vorgegebenen Trott nachmachen.
Abschluss
Tatsächlich bin ich davon überzeugt, dass wir im Laufe des Lebens unseres Planeten noch viele Dummheiten machen werden. Und der Erdball wird sich dennoch weiterdrehen, also vermutlich. Oder auch nicht? Wer weiß das schon.
Wir können uns aber selber entscheiden wie wir unser Leben gestalten und was wir aus unserer Welt machen.
Lasst uns das Beste daraus machen, zu dem wir im Stande sind.
Ein Essay von Michael Ebenhofer vom 6. April 2017
Nachtrag
Hier möchte ich darauf hinweisen, dass manche Inhalte des Essays teils veraltet sind, weiterhin aber noch ihre Berechtigungen haben mögen. Das Essay hatte ich im Zuge eines Kurses in Wien, später nochmals in Salzburg vorgetragen.
Ich rede im obigen Text von Computerspielen, die eine mögliche Weiterentwicklung darstellen könnten (wenn gleich auch mit anderem Geschichtsverlauf). Dieses Video möchte ich hier verlinken:
Gute, interessante Gedanken, gut geschrieben.Ich bin sicher, die Welt wird sich weiter drehen, aber wenn wir Dofies so weitermachen wie bisher, dass dreht sie sich ohne uns Menschen.
Kennst Du den folgenden Witz: „Treffen sich zwei Welten…die erste jammert: „Ich bin krank, ich habe „Menschen!“ Darauf antwortet die Zweite: „Mach dir keine Sorgen, diese Krankheit vergeht von selbst. Mach eine Schwitzkur, dann geht das Ganze noch schneller!
Die Gruppe „Danke Facebook findest Du unter meinem FB-Namen Anna Sams
LG Anna
Hallo Anna,
ich finde die Antwort prima 🙂